Der Täuschkörper


In der Augsburger Puppenkiste gab es neben Jim Knopf und Frau Mahlzahn auch den Scheinriesen. Ein Ungeheuer, das immer harmloser wird, je mehr man sich ihm nähert. Unsere vierte Daytona könnte man nicht passender beschreiben.

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Tatsächlich hatten wir das inserierte Tierchen seit geraumer Zeit im Auge, konnten und wollten aus Platzmangel aber noch nicht zuschlagen. Zwischenzeitlich verschwand das Inserat dann wieder. Das Gerät schien verkauft. Nachdem sich unsere eiligen Hallen gelichtet hatten und wir erneut auf die Suche nach dem nächsten Objekt der Begierde gingen, tauchte das Gefährt plötzlich wieder auf. Ein Zeichen! Also flugs Kontakt mit dem Verkäufer aufgenommen und einen Besichtigungs-Termin vereinbart



Dem Inserat und insbesondere den wenig vorteilhaften Fotos zu Folge, schien es sich um einen abgewirtschafteten Zossen zu handeln. Andersfarbige Seitenteile waren deutliche Boten mehrmaligen Bodenkontaktes und auch sonst schien das Tierchen optisch arg gescholten. Ein Eindruck, der falscher nicht hätte sein können. Denn vor Ort zeigte sich der Stuhl bereits im Halbdunkel des Carports als wesentlich ansehnlicher als auf den Bildern. Und einmal in die Sonne geschoben, versetzte und das Gefährt gar in positive Verblüffung



Tatsächlich hatte es jemand professionell in British-Racing-Green, elegant mit SIlber-Metallic abgesetzt, lackieren lassen. Astreines Finish, alle Schriftzüge unter Klarlack, keine Staubeinschlüsse oder Macken. Je dichter man an das Gerät heran schritt, desto besser wurde der Eindruck. Und dann lief und fuhr das Moped auch noch geradezu sahnemäßig. Ich kann nicht glauben, dass ich das mal sagen würde: aber die Gute war fast schon zu schade zum umbauen. Wir machen`s natürlich trotzdem. Denn nichts ist erfreulicher, als eine phänomenale Basis. Und der wunderbare Lacksatz hat bereits anderweitig ein neues Daseins gefunden, so dass auch hier nichts verschwendet wird



Und auch, wenn dies bereits die vierte Daytona ist, unterscheidet sie sich doch im Detail von den anderen. Darauf gehen wir im nächsten Kapitel ausführlicher ein



Das Modell ist eine 1997er 955i, also die erste Auflage des einstigen Supersportlers. Tatsächlich mögen wir, aus verschiedenen Gründen, explizit die frühen Modelle. Zum einen haben sie den hübscheren Motor, was angesichts des bevorstehenden Striptease nicht zu vernachlässigen ist. Dann besitzen sie eine „stumpfere“ Motorsteuerung, die sogar ohne Lambda-Regelung daher kommt (stehen wir total drauf!). Des weiteren verfügen die Motoren noch über die „Huckepack“-Lichtmaschine mit integriertem Regler, was sie elektrisch schusssicher macht



Dann wäre da noch der zweiteilige Tank, dessen Aufhängung dem Nachfolger weit überlegen ist und das Problem mit den „wachsenden“ Sprit-Fässern egalisiert. Zudem kann man in der Haube Instrumente unterbringen oder diese gar umgestalten und dem Krad eine andere Linie verpassen – was wir definitiv wieder machen werden. Der alte Tank birgt im Gegenzug andere Problemstellen, die wir ebenfalls im nächsten Kapitel untersuchen werden



Ansonsten teilen sich die Generationen ihre chronischen Krisenherde und Schwachstellen, die wir im Zuge des Umbaus dauerhaft ausmerzen werden. So ganz viel bleibt wie immer eh nicht erhalten. Und bei diesem Gefährt werden wir erstmalig auch die Einarm-Schwinge in Rente schicken – nur um sie gegen eine andere zu ersetzen. Eine scheinbar sinnlose Aktion – in diesem Fall mit Hintergrund. Das Ersatz-Teil ist bereits vor Ort, der Sinn rein optischer Natur (als ob es einen bräuchte). Und wir können bereits an dieser Stelle, dass besagte Schwinge ein amtlicher Griff ins Klo war – und das genaue Gegenteil eines Scheinriesen. Aus der Ferne noch harmlos, wird die umso erschreckender, je mehr man sich ihr nähert. Mehr von diesem Drama im nächsten Kapitel.