Robert L. - Chill oder Grill
Nirgends sind Neigungs-bedingte Inkompatibilitäten derart ausgeprägt, wie beim Grillen. Das geht schon bei der Wahl des Arbeits-Instruments los und hört bei den Zutaten lange nicht auf. Sollte man eines Tages meinen leblosen Kadaver neben dem Altglas-Container auffinden, dann wird im Obduktionsbericht mit Sicherheit „von Else mit einem Tofu-Klumpen erschlagen und rektal mit einer stumpfen Grillzange erstochen“ stehen. Es sind schon Kriege vom Zaun gebrochen worden, einfach auf Grund von Befindlichkeiten in Sachen Marinade-Rezepten. Schätze ich zumindest.
Das Werkzeug
Else hat „bei OBI gibt es diesen ganz tollen Elektro-Grill“ gefunden. Man kann die Temperatur auf das Grad genau über ein 12-Zoll Touch-Panel einstellen. Außerdem verfügt das Teil über Bluetooth sowie WLAN und kann mit einer App per Handy oder Alexa ferngesteuert werden. Das Gerät ist selbstreinigend und die Lackierung in Metal-Flake-Lila passt ganz toll zur neuen Besteck-Serie „Nilsfick“ (oder so ähnlich) von IKEA. Da die Wärme über induktive Lawastein-Imitate abgegeben wird und das ganze Ding gänzlich ohne Feuer auskommt, entfallen zudem diese fürchterlich krebserregenden Stoffe, falls doch mal etwas Sud vom Rost herunter tropft. Total praktisch: Neben dem Grill-Rost verfügt der Apparat über zwei niedliche Kochplatten, auf denen man z.B. einen Cappuccino oder das Gemüse-Pesto warmhalten kann.
Ich hingegen will eigentlich nur eins: einen Schamott-verkleideten Schacht, der bis zum glühenden Erdkern reicht. Ein 8x8 Meter großes Gitter-Rost drüber, fertig. Alternativ würde ich auch einen Vulkan im Garten oder Napalm-Tiefflieger-Angriff auf eine Rinderherde akzeptieren. Eine mittelgroße thermonukleare Detonation auf einer Kuh-Koppel täte es auch. Wobei sich letzteres als eher unpraktisch erwiesen hat, weil die entstehende Druckwelle das Grillgut nicht nur des-integriert, sondern auch hinfort weht – selbst, wenn man es ordentlich angepflockt hat. Grundsätzlich bin ich jedoch nicht wählerisch. Hauptsache, das eingesetzte Gerät ist in der Lage, schon beim Anfachen irreversible Auswirkungen auf das regionale Klima und die Erderwärmung zu entfalten. Die Ozonschicht muss sich bereits beim ersten Glimmen ins löchrige Höschen machen und weit entfernte Gletscher in Wasserrutschen verwandeln. Auf einem halbwegs guten Grillfeuer muss man Eisenbahnschienen schmieden können!
Das Grillgut
Else fährt fein mit dem Sharing-Elektro-Scooter in den Bio-Veggie-Shop und kauft dort zwei Pfund gemischtes Gemüse aus regionalem Anbau. Dazu diverse Kräutersude, Seetang, kaltgepresstes Olivenöl, linksgebürstetes Zitronengras, Tofu-Croutons, Sesam-Sprossen, destillierten Kresse-Saft und fermentierte Bambus-Flocken. Auf Anraten der Tresen-Fachkraft wandern noch Lauchzöpfe sowie Ingwer-Stäbchen ins Körbchen. Die würden „ganz fantastisch zu gedünsteten Keimlingen schmecken“ weiß die Grünzeug-Tusse zu vermelden. Else nickt bedeutsam und anerkennend. Die Rettich-Plunze empfiehlt als Getränke alkoholfreien Prosecco sowie Bio-Eierlikör aus kontrollierter Bodenhaltung.
Meine Bestellung ist vergleichsweise simpel: „FLEISCH!!!“ lautet die Order, intoniert wie der Brunftschrei eines Zwölf-Enders auf Testoteron - adressiert an den Kittel-Büttel in der Schlachter-Abteilung. Ich unterstreiche den Schwerpunkt meiner Bestellung mit einem: „VIEL Fleisch!!!“. Von welchem Tier ist mir schlicht und ergreifend scheißegal. Wichtig ist nur, dass die Einheiten nicht kleiner als ein handelsübliches Surfbrett ausfallen. Jurassic Park hat sich in exakt jenem Moment zu meinem absoluten Lieblingsfilm gemausert, als die Brontosaurier durchs Bild liefen. Man, nur einmal einen Schenkel oder ein Rippchen von so einem Tierchen auf dem Grill liegen haben. Mariniert in einem Olympia-Schwimmbecken. Ab und zu angel ich im Mittellandkanal, in der Hoffnung, ein Blauwal würde anbeißen – falls man mal Freitags grillen will. Bis jetzt leider ohne Erfolg, wahrscheinlich nicht der richtige Köder. Ich hatte auch schon erwogen, Pfeil und Bogen mit in den Zoo zu nehmen und dort einen Elefanten oder eine Nashorn-Familie zu erlegen. Bisher scheiterte die Sache jedoch an der nicht vorhandenen Möglichkeit, die Kadaver unauffällig aus dem Tier-Knast zu zerren. Getränke-technisch wandern drei 50-Liter Gastro-Fässer Bier in meinen Einkaufswagen-Konvoi. Als reinen Wirkungs-Trinker ist mir auch hier die Marke Latte. „Masse mal Erdbeschleunigung“ lautet die Devise. Dehydrierung ist die größte Gefahr beim Grillen und muss schon alleine aus Gesundheitsgründen unbedingt vermieden werden. Grünzeug ist indiskutabel. Kannste ja gleich den Rasenschnitt nach dem Mähen fressen.
Die Zubereitung
Else hackt ihre Kräuter, zermalmt Knoblauch mit dem Stößel und rührt aus verschiedenen Ingredienzien eine pastöse Melange an, welche sie auf die zuvor geviertelten Paprika-Schoten streicht. Der Seetang wird in Streifen geschnitten, die Schoten darin eingeflochten, alles mit geraspeltem Sesam garniert und dann in Alu-Folie gewickelt, die sie in die Form von kleinen Schwänen drapiert. In einem putzigen Töpfchen wird eine weitere Melange angesetzt, die später als Dipp für die kandierten Kohlrabi-Chips dienen soll. Das eingesetzte lustige Grill-Besteck von IKEA (s.o.), wird durch eine „süße Schürze“ und den neckischen „Kiss the Cook:inn“ Kochhut ergänzt. Fehlen nur noch lange spitze Schuhe mit kleinen Glöckchen an den Enden. Denke ich... laut… und fange mir eine. Der Elektro-Grill wird mit der App so getimed, dass sie noch eben schnell die letzte Folge von „Das perfekte Dinner“ auf seinem Display zu Ende sehen kann, bevor die Umluft-Betriebstemperatur erreicht ist. Das Ding sendet regelmäßige animierte Zustands-Updates auf ihr Handy und parallel an ihre Whatsapp-Gruppe „Gemüse-Göttinnen“.
Ich schüttel derweil erst den Kopf und dann zwei Zentner Grillkohle aus einem Sack auf den Rasen, gieße vier Liter 102-Oktaniges drüber und schieße die Sache mit einer Salve aus der Signalpistole in Brand. „Seht mein Werk, ich habe Feuer gemacht!“. Mit einer Spitzhacke schlage ich ein Loch in das erste Bierfass, reiße mir sämtliche Kleider vom Leib, wickel mir ein Bärenfell um die Hüfte und gehe in den nonverbalen Modus über. Mehr als „Ugahh-Ugaahhh“ werde ich bis zum Ende der Zeremonie nicht mehr von mir geben. Ist die Kohle am glühen, wandern die ersten Quadratmeter Fleisch auf die Roste, welche einstmals die linke Schiebetür eines Boing 747- Hangars war. Einzig akzeptables Besteck: Streitaxt oder Dolmar. Schottische Breitschwerter gehen notfalls gerade noch so, sind aber schon leicht Pussy-mäßig. Wahre Virtuosen setzen auf handgehauene Stein-Beile auf Findlings-Basis. Schon alleine wegen der Nachhaltigkeit und so.
Post-Trauma
Ist der Akt beendet, sortiert Else ihren Bio-Müll nach Vornamen, kompostiert die Kresse-Reste und stellt den Grill mittels App auf Selbstreinigung. Sie holt sich ein Döschen Weisswein-Schorle aus dem Kühlschrank, stellt Fotos ihrer Gerichte samt Rezepten auf ihre Instagram-Seite und freut sich über die rasch eintrudelnden Likes, wohlwollenden Kommentare und ausgeklügelten Zubereitungs-Vorschläge ihrer Follower.
Mir ist einfach nur schlecht. Ich habe mich total überfressen und liege von Magenkrämpfen geschüttelt in einer Lache aus schaumlosen Bier, warmen Eigen-Urin und kalter Grill-Sauce. Das letzte Steak hängt mir seitlich aus dem Mund. Ich habe Senf in den Haaren, Kohle in den Ohren und einen lustigen niederviskosen Fäkalien-Mix im Bärenfell. Die Nachbars-Katzen machen sich bereits an den Überresten meines Massakers zu schaffen und über das Verbleibende breite ich Rindenmulch sowie den Mantel des Schweigens aus – sobald ich wieder stehen, sehen und gehen kann. Meine Gesichtszüge formen ein groteskes Lächeln – irgendwas zwischen seliger Zufriedenheit und offensichtlichem Schwachsinn. Else wirft mir verächtlich die leere Schorle-Dose an den Kopf, schüttelt den ihren und geht ins Haus. Dabei eindeutig proklamierend, dass ich selbiges nicht versuchen solle, bevor ich mich abgekärchert hätte. Ich bestätige mit einem „Uggahhh“, kratze mich an den eingekoteten Klöten und robbe in Richtung Dampfstrahler – den ich jedoch nicht erreiche. Ich ziehe eine braune Spur, welche seitlich aus dem Bärenfell sickert, hinter mir her, so dass man mich aus der Luft auch leicht für eine übergroße Schnecke mit exorbitanter Intimbehaarung halten könnte.
„Grillen ist gleichsam geil, als auch gesellschaftlicher Spaltungs-Faktor“ – sinniere ich und breche auf der Auffahrt endgültig ohnmächtig zusammen, wo ich erst am nächsten Morgen erwache, als der Köter von gegenüber mir ins Gesicht strullt. Nächstes Wochenende wird auf jeden Fall wieder gegrillt! Und sei es nur für den Weltfrieden.
Arsch zur Faust, R. Leuchtung